Bau auf – baut mit.

 

Der nachstehende Text entspricht dem Wortlaut der Anlage Nr. 2 zum Protokoll Nr. 78 der Sitzung des Politbüros des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 20. Oktober [recte: November?] 1951 im Bundesarchiv, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, DY 30/IV 2/2/178. Hervorhebungen des Originals, Orthographie und Interpunktion unverändert.

Aufbauplan Berlin

Bürger Berlins!
Bürger der Deutschen Demokratischen Republik!
Bürger Westdeutschlands!

Nachdem der Fünfjahrplan beschlossen wurde, der von den Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik und des demokratischen Sektors von Berlin mit so grossem Schwung verwirklicht wird, lenkt des Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands die Aufmerksamkeit aller Deutschen auf den Aufbau Berlins. Wir schlagen vor, die durch Kriegseinwirkungen zerstörte Hauptstadt Deutschlands innerhalb weniger Jahre neu aufzubauen und zwar schöner und grosszügiger als sie bestand. Erforderlich ist dazu die Entfaltung einer nationalen Initiative. Andere Völker haben, unter ähnlichen Umständen, die Kraft zu einer solchen Initiative gefunden. Die Geschichte zeigt, dass auch das deutsche Volk imstande ist, grosse Leistungen im Namen der Nation zu vollbringen.

Die Ergebnisse einer nationalen Initiative zum schleunigen Neuaufbau Berlins werden – gerade unter den heutigen Umständen – ausserordentlich sein: schon im Jahre 1952 werden in Berlin ganze Stadtteile von Wohn- und Hochhäusern entstehen, die den Menschen zeigen, wie die Hauptstadt des einheitlichen, demokratischen Deutschlands nach Beendigung ihres Wiederaufbaues aussehen wird. Schon im Jahre 1952 werden viele Tausende von Familien, die das noch gestern nicht erhoffen konnten, in geräumige moderne Wohnungen einziehen.

Baut mit
Nationales Aufbauprogramm Berlin 1952: »Wir bauen Wohnungen! Baut mit« (Plakat).

Ein Aufbaufieber wird die Menschen erfassen – denn die Notwendigkeit liegt klar zutage, die Durchführbarkeit auch und das Ergebnis wird täglich vor den Augen wachsen. Zehntausende in Berlin, Hunderttausende ausserhalb Berlins werden mit dem Namen der deutschen Hauptstadt auf den Lippen enttrümmern, mauern, schmelzen, giessen, fällen, forsten, transportieren usw.

In der gemeinsamen Arbeit für ein edles und nützliches Ziel, werden sie nicht nur neue Maschinen erfinden und bessere Arbeitsmethoden schaffen, sie werden vor allem einander nahekommen. Die neuerstehende deutsche Hauptstadt wird Symbol des Lebens der deutschen Nation werden – in einer Zeit, in der die Deutschen wie nie zuvor um die Erhaltung ihres Vaterlandes bangen. Sie wird die Kraft zeigen, mit der die Deutschen für den Frieden, für die Einheit Deutschlands kämpfen. Die deutsche Hauptstadt, unser Berlin bisher gespalten und angeblich ohnmächtig, wird in ganzer Grösse hervortreten und eine aktive Rolle bei der Herstellung der Einheit und eines dauerhaften Friedens übernehmen.

Wäre das schön? Es wäre schön. Ist es möglich, natürlich ist es möglich. Wenn das Volk seine Sprache, die Sprache des Fortschritts zu reden beginnt, ist jede Kulturtat möglich.

Bau mit!
Aufbaukarte für das Nationale Aufbauprogramm Berlin 1952: »Baut mit!«

Ausgehend von solchen Erwägungen, unterbreitet das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in Verbindung mit der Landesleitung der SED Gross-Berlin nach gründlichen Beratungen mit Städtebauern, Architekten und Künstlern der Öffentlichkeit den folgenden Vorschlag zur Diskussion:

I.

Die friedliebenden Kräfte in Deutschland entschliessen sich zur Durchführung des »Nationalen Aufbauprogramms Berlin«. Der erste Abschnitt dieses Programms ist das »Nationale Aufbauprogramm Berlin 1952«.

II.

Das »Nationale Aufbauprogramm 1952« beginnt am 1.1.1952 und endet am 31.12.1952. Es besteht aus folgenden Teilen:

a) Mit Schwerpunkt Stalinallee wird ein Stadtteil von Wohnhäusern und Hochhäusern gebaut, der für die Architektur und Stadtplanung der neu entstehenden deutschen Hauptstadt vorbildlich ist.

b) Mit Schwerpunkt Stalinallee, aber auch an anderen Stellen des demokratischen Sektors wird eine umfassende Enttrümmerungsaktion in Gang gesetzt, welche für den Aufbau des neuen Stadtteils die Hauptrohstoffe (Schrott, Träger und Steine) liefert.

c) Alle vom demokratischen Magistrat von Berlin und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik für das Jahr 1952 beschlossenen Bauvorhaben in Berlin werden unvermindert durchgeführt und dem »Nationalen Aufbauprogramm Berlin« eingegliedert.

III.

Die grosse Aufgabe bei der Durchführung des »Nationalen Aufbauprogramm Berlin 1952« besteht darin, dass erhebliche finanzielle Mittel und Materialien über den Plan hinaus aufgebracht werden müssen, denn die laut Plan im Jahre 1952 zu erzeugenden Mittel sind auch laut Plan verteilt und können nicht ohne Schädigung der Volkswirtschaft abgezogen werden. Eben zur Lösung dieser Aufgaben bedarf es der nationalen Initiative.

IV.

Zur Aufbringung der finanziellen Mittel wird eine Aufbaulotterie nach folgenden Grundsätzen vorgeschlagen:

Die Bürger des demokratischen Sektors von Berlin und der Deutschen Demokratischen Republik zeichnen, sofern sie es wünschen, 3% ihres Monatseinkommens (bei Selbständigen 3% des Einkommens) für die Dauer eines Jahres (1.1. bis 31.12.1952). Sie erhalten die gesamte eingezahlte Summe plus 3% Zinsen in drei Jahresraten am 1.7.1956, 1.7.1957 und 1.7.1958 zurück.

Ausserdem berechtigt die monatliche Einzahlung von 3% des Monatseinkommens – ohne Rücksicht auf die Höhe des eingezahlten Betrages – zum Empfang eines Loses. Das Los ist namentlich und nicht übertragbar.

Am 31.12.1952 kommen als Gewinne zur Auslosung:

1000 2 bis 3 Zimmerwohnungen in Berlin sowie Geldprämien nach einem aufzustellenden Schlüssel. Anstelle einer ausgelosten Wohnung kann eine Geldprämie in Empfang genommen werden. Die Gewinner der 1000 Wohnungen erhalten, in der Annahme, dass sie das Geld für die Einrichtung der Wohnung brauchen, den gesamten eingezahlten Betrag am 2.1.1953 zurück.

Aufbaulotterie im Funk
»Wollen Sie 1000 DM gewinnen? Dann beteiligen Sie sich an der Aufbau-Lotterie im Funk.«

V.

Zur Beschaffung der Materialien (Steine, Stahl, Zement, Holz, Glas, Keramik usw. usw.) wird eine ineinandergreifende Aktion unternommen, die aus folgenden Teilen besteht:

Die unter 2b) genannte umfassende Aktion zur Enttrümmerung des demokratischen Sektors von Berlin. Je großzügiger, disziplinierter enthusiastischer sich diese Aktion entfaltet, desto mehr Schrott, Träger und Steine werden gewonnen, je mehr Schrott, Träger und Steine gewonnen werden, desto mehr Gebäude können entstehen.

Alle Betriebe Berlins und der Deutschen Demokratischen Republik helfen – und durch Abschluß von Wettbewerben zur überplanmässigen Erzeugung und Materialeinsparung – am Neuaufbau mit. Ihre Hilfe hat entscheidende Bedeutung, denn alle Betriebe sind mittelbar oder unmittelbar mit dem Materialbedarf des Neuaufbaus verbunden. Nur wenn der Schrott von den Berlinern überplanmässig herausgeholt, von den Stahlwerkern überplanmässig geschmolzen, von den Walzwerkern überplanmässig gewalzt, von den Eisenbahnern überplanmässig transportiert wird usw., stehen am Ende moderne Hochhäuser da. Und nur wenn die Bergarbeiter überplanmässig fördern, können die Stahlwerker überplanmässig feuern und die Eisenbahner überplanmässig transportieren. Es gibt keinen Betrieb, der ausserhalb dieses Kreislaufes stände.

VI.

Die neuen Bauvorhaben werden von der Berliner Bauarbeiterschaft durchgeführt, die sich bei der Errichtung der Bauten für die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten so sehr bewährt haben. Ihre Hauptaufgabe besteht nunmehr in der Entfaltung des Wettbewerbes zur systematischen Senkung der Baukosten und der Verbrauchsnormen durch neu verbesserte Arbeitsmethoden; Bauaktivisten aus der Republik werden zur zeitweisen Teilnahme am Neuaufbau Berlins eingeladen.

Im Maße der Notwendigkeit werden freiwillige Hilfskräfte aus der Bevölkerung zugezogen.

VII.

Zur Enttrümmerung des demokratischen Sektors wird die Berliner Bevölkerung aufgerufen. Das Gebiet wird in Enttrümmerungsobjekte aufgeteilt, für je ein Objekt wird eine Brigade zusammengestellt. Kern jeder Brigade ist die Spezialistengruppe, welche die Facharbeiten (Schweißen, Montieren, Sprengen usw.) durchführt. Kein Objekt darf zur Enttrümmerung freigegeben werten, bevor nicht eine eigene zu schaffende Arbeitsvorbereitungskommission bestätigt, dass alle Voraussetzungen für ein produktives und gefahrloses Arbeiten vorliegen. (Geräte und Zusammensetzung der Brigaden, Organisation des Trümmerplatzes usw.).

VIII.

Die grossen neuen Bauvorhaben und die Enttrümmerungsobjekte werden mit Radio-Lautsprecheranlagen und Scheinwerfer ausgerüstet. Die Rundfunksender werden ersucht, Spezial-Musik-Programme für die Bau- und Enttrümmerungsarbeiter zu senden. Die Theater, Kinos usw. werden ersucht, Sondervorführungen für die Bau- und Enttrümmerungsarbeiter zu veranstalten. Die Autoren, Komponisten usw. werden ersucht, das Leben auf den Baustellen zu studieren und zum Gegenstand ihrer Schöpfungen zu machen.

IX.

Die freiwillige Arbeitsleistung am Bau oder an der Enttrümmerung erfolgt in Halbschichten zu je 3 Stunden. Dadurch wird auch den Berufstätigen Gelegenheit zur Teilnahme gegeben. Wer 100 Halbschichten aufweist, erhält ein Los. Das Los ist namentlich und nicht übertragbar. Zur Auslosung an die Bau- und Trümmeraktivisten gelangen am 31.12.1952 weitere tausend 2 bis 3 Zimmerwohnungen in Berlin sowie Geldprämien nach einem aufzustellenden Schlüssel. Anstelle einer ausgelosten Wohnung kann eine Geldprämie in Anspruch genommen werden. Niemand kann zwei Wohnungen gewinnen.

X.

Auf dem Gebiet Stalinallee wird eine ständige Bauausstellung errichtet. Sie zeigt:

a) Die geschichtliche Entwicklung des Bauwesens und der Architektur.

b) Den jeweiligen Stand in der Entwicklung des Bauwesens und der Architektur in Deutschland (gezeigt am Beispiel des Neuaufbaus der Stadt Berlin im Jahre 1952).

Diese Ausstellung – mit ihrer Darstellung des neuen Menschen, der neuen Arbeitsmethoden, der neuen Baustoffe, der neuartigen Verwendung der Baustoffe, der neuen Maschinen usw. – wird zum Hebel für die Entfaltung einer systematischen und rationellen örtlichen Bautätigkeit in allen Städten und Gemeinden der Deutschen Demokratischen Republik. Die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik unterstützen den Neuaufbau Berlins nicht nur deshalb, weil Berlin ihre Hauptstadt ist und weil der Neuaufbau Berlins die Einheit Deutschlands fördert, sondern vor allem auch deshalb, weil die in Berlin begonnene Initiative in der Republik fortgesetzt werden soll, sobald die nötigen Erfahrungen vorliegen.

Aufbau-Lotterie 1952
Nationales Aufbauprogramm der Hauptstadt Berlin 1952: »Zeichne die Aufbau-Lotterie! Damit hilfst Du Berlin!«

XI.

Die Bürger Westdeutschlands, Arbeiter, Bauern, Wissenschaftler, Unternehmer werden aufgefordert, Vorschläge für die Mitarbeit der westdeutschen Bevölkerung am »Nationalen Aufbauprogramm Berlin 1952« zu entwickeln. Die Architekten in Westdeutschland und Westberlin werden aufgefordert, ihre Vorschläge und Entwürfe für den Neuaufbau Berlins einzureichen.

XII.

Die im demokratischen Sektor von Berlin 1952 fertiggestellten Wohnungen werden in erster Linie den Aktivisten (Betriebsaktivisten, Bau- und Trümmeraktivisten usw.) den Werktätigen zur Verfügung gestellt. Eine eigene zu schaffende Kommission erstattet der Öffentlichkeit mit genauen Ziffern darüber Bericht, dass die Wohnungen tatsächlich in die Hände der Werktätigen gegeben wurden.

XIII.

Zur Leitung des »Nationalen Aufbauprogramms Berlin 1952« wird ein »Nationales Komitee für den Neuaufbau der deutschen Hauptstadt« gebildet, dem Vertreter aller zustimmenden Parteien und Organisationen sowie Einzelpersönlichkeiten angehören können. Das »Nationale Komitee« gliedert zur operativen Führung einen Stab aus. Als erste Maßnahme wendet sich das »Nationale Komitee« an die Magistrate in Berlin und die Regierungen in Deutschland mit der Bitte um Unterstützung des »Nationalen Aufbauprogramms Berlin 1952«.

XIV.

Insbesondere schlägt das »Nationale Komitee für den Neuaufbau der deutschen Hauptstadt« der Bevölkerung in Westberlin und den westberliner Behörden vor, den Neuaufbau Berlins auch in Westberlin zu beginnen, durch Überprüfung der gesamten Stadtanlage, Festlegung der Hauptstraßenzüge, sowie Errichtung von räumlich und architektonisch geschlossenen Stadtteilen von Wohnhäusern und Hochhäusern im Jahre 1952.

Die Straße des Friedens
Broschüre: »Stalinallee. Die Strasse des Friedens« (1952).

Bürger Berlins!
Bürger der Deutschen Demokratischen Republik!
Bürger Westdeutschlands!

Wir sind überzeugt, dass es genügend Deutsche gibt, die diesen Vorschlag begrüßen und aufgreifen. Wir zweifeln aber nicht daran, dass es einige Menschen in Deutschland geben wird, die auch diesen Vorschlag ablehnen und über ihn höhnen mögen. Mögen sie es. Das aus der Erde wachsende neue Berlin wird mit der Unwiderleglichkeit, die Tatsachen innewohnt, die Wahrheit erweisen. Mit jedem neuen Stein, jeder neuen Wohnung wird umso klarer werden – wer für den Frieden ist, für die Einheit Deutschlands und für den Wohlstand des Volkes!

Das Zentralkomitee der
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands

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About Achim Bahr

Der Künstler, Hochschullehrer, Historiker, Kurator und Autor Achim Bahr ist Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Vereins STALINBAUTEN e.V.