Skandal im Bezirk.

 

Seit der Wiedereröffnung am 16. November 2018 ist die berühmte Ausstellung zur Geschichte der Stalin- resp. Karl-Marx- und Frankfurter Allee im Café Sibylle nicht mehr zu sehen, obwohl der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die Betreiber des Cafés seither mit monatlich 2.000 € subventioniert. Doch das rudimentäre Konglomerat, das heute dort ungeordnet und lieblos nur noch im Gang links des Tresens gezeigt wird, ist kaum noch als Ausstellung zu bezeichnen: etliche Exponate sind beschädigt, viele verschwunden, Erläuterungen oder wenigstens Beschriftungen nicht mehr vorhanden.

Blick in die einstige Ausstellung
Es war einmal: Blick in die ehemalige Ausstellung im »Café Sibylle«.

Schon vor der Schließung des legendären Cafés zeichnete sich diese traurige Entwicklung ab, als sich Bezirksstadtrat Knut Mildner-SpindlerDie Linke, wegen seiner Tätigkeit resp. Untätigkeit in dieser Sache einem »Tribunal« seiner eigenen Fraktion – so Thomas Frey in der Berliner Woche am 24.03.2018 – ausgesetzt sah und die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einen von der Linken noch verschärften Änderungsantrag zum Erhalt des Cafés und seiner Ausstellung beschloss.

Auf politischer Ebene folgten dann drei Anfragen von Michael Heihsel, FDP, an die BVV am 26. September 2018 (DS/0958/V), am 24. Februar 2021 (DS/1993/V) und zuletzt noch einmal am 9. März 2021 (SA/577/V), die von Knut Mildner-Spindler jeweils höchst widersprüchlich beantwortet wurden. Anhand der öffentlich zugänglichen Drucksachen kann sich jeder leicht selbst davon überzeugen.

Leuchtet noch: Reklame am »Café Sibylle«.

Auch wir haben seitens des gemeinnützigen Vereins STALINBAUTEN e.V. mehrfach versucht, über Angelika Zachau von puk a malta als Betreiberin des Cafés, über Natalie Bayer, als Leiterin des FHXB-Museums zugleich Sachwalterin der Ausstellung und ihrer Exponate, über den Senator für Kultur und Europa Dr. Klaus Lederer, Die Linke, über die Bezirksstadträtin Clara Herrmann, B’90/Die Grünen, sowie über weitere Personen und Institutionen Bewegung in die Sache zu bringen – erfolglos. Dabei haben wir stets deutlich gemacht, dass wir für unsere sach- und fachkundige Mitwirkung kein Budget oder Honorar beanspruchen, sondern im Gegenteil uns sogar an der Finanzierung zum Beispiel einer Ausstellungsbroschüre beteiligen könnten.

Vor dem Hintergrund des bereits angelaufenen erneuten Welterbe-Prozesses ist die gegenwärtige Situation besonders prekär, zumal die anderen potentiellen Welterbe-Gebiete – Karl-Marx-Allee II und Hansaviertel mit Corbusierhaus – jeweils über Ausstellungs- resp. Informationsräume und sogar über eine Musterwohnung verfügen, während hier, im geschichtsträchtigen ersten Bauabschnitt der Stalinallee, noch nicht einmal eine subventionierte Ausstellung (vgl. DS/0807/V) zugänglich ist, die ungeachtet dessen nach wie vor in Reiseführern als sehenswerte Attraktion gepriesen wird.

Blick in die einstige Ausstellung
Es war einmal: Blick in die ehemalige Ausstellung im »Café Sibylle«.

Am 18. Mai 2021 hat Michael Heihsel nun den nachstehenden Antrag mit Begründung der BVV zur Beschlussfassung eingereicht:

Das Bezirksamt wird aufgefordert, die Ausstellung zur Historie der Stalin- bzw. Karl-Marx-Allee im Café Sibylle wieder zu revitalisieren. Die Federführung soll dabei beim Bezirksamt liegen. Für die Umsetzung der Revitalisierung soll das Bezirksamt sowohl den Rat und die Expertise von Historikern als auch vom Verein Stalinbauten e.V. einholen. Die Fertigstellung und Neueröffnung soll noch in dieser Legislaturperiode, also spätestens bis September 2021, erfolgen.

Es ist zu hoffen, dass mit dem Beschluss der BVV der unglaubliche Skandal jahrelanger Stagnation aufgrund unsinniger Verweigerungsverwaltung und Verhinderungspolitik ein Ende und die Ausstellung zur Geschichte der Allee bald wieder viele interessierte Besucher finden wird!

Nachtrag 1

Nachdem inzwischen etwa 60.000 € an Subventionen geflossen sein dürften, ohne dass auch nur das Geringste zur Revitalisierung der Ausstellung geschehen wäre, wurde im Rahmen einer öffentlichen Diskussionsrunde am 28. April 2021 auch dieses Problem wieder thematisiert. Als ebenso rigorose wie wirkungsvolle Lösung war aus dem Auditorium der Vorschlag zu hören, den Mietvertrag mit puk a malta einfach nicht zu verlängern – besser noch: zu kündigen.

Nachtrag 2

Der Antrag zur Revitalisierung der Ausstellung zur Karl-Marx-Allee wird am 26. Mai 2022 zunächst zur fachlichen Beratung in die Ausschüsse für Wirtschaft und Ordnungsamt, Eingaben und Beschwerden sowie Kultur und Bildung der BVV Friedrichshain-Kreuzberg verwiesen, die Entscheidung für Mitte Juni erwartet.

Nachtrag 3

Corinna von Bodisco berichtet im Newsletter Leute Friedrichshain-Kreuzberg (Tagesspiegel, 27. Mai 2021) unter dem Titel »Chronologie des Stillstands« – wie steht es um die Ausstellung im Café Sibylle? über den aktuellen (Still-) Stand bzgl. der Revitalisierung der Ausstellung zur Karl-Marx-Allee. Die darin zitierte Aussage der derzeitigen Leiterin Angelika Zachau: »Wir freuen uns sehr, dass die Ausstellung vermisst wird, obwohl das Café Sibylle geschlossen ist,« ist nach zweieinhalb Jahren Abwehr und Untätigkeit und angesichts der seither versickerten Subventionen mindestens ebenso zynisch wie empörend.

Nachtrag 4

Der Antrag zur Revitalisierung der Ausstellung zur Karl-Marx-Allee wurde vom Ausschuss für Wirtschaft und Ordnungsamt, Eingaben und Beschwerden wegen Unzuständigkeit nicht behandelt und am 09. Juni 2021 vom Ausschuss für Kultur und Bildung nach eingehender Diskussion auf Antrag der Linken auf die nächste Sitzung am 18. August 2021 vertagt. Damit ist ein wesentlicher Punkt des Antrags, nämlich die Ausstellung – nach nunmehr fast drei Jahren – bis September 2021 endlich wieder zugänglich zu machen, hinfällig.

Nachtrag 5

In seiner Sitzung am 18. August 2021 hat sich der Ausschuss für Kultur und Bildung mit einem erneuten Änderungsantrag befasst, der inzwischen von den Fraktionen B’90/Die Grünen und Die Linke eingebracht wurde. Demnach möge die Bezirksverordnetenversammlung beschließen, das Bezirksamt aufzufordern,

unter Einbezug der Betreiber*innen des Café Sibylle eine neue Ausstellung über die Karl-Marx-Allee aus historischer und gegenwärtiger Perspektive zu initiieren. Die Federführung soll dabei das FHXB-Museum übernehmen. Die Ausstellung soll in Zusammenarbeit mit fachlich einschlägigen Wissenschaftler*innen, nachbarschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen – wie etwa Anwohner*innen, der Erinnerungslandschaft Friedrichshain, der Henselmann-Stiftung, dem Stalinbauten e.V. u.a. – beraten und erarbeitet werden.

In dem entsprechenden Beschluss wird verlangt, »[d]er BVV […] bis April 2022 zum Stand der Dinge zu berichten.« Da nach Aussage von Natalie Bayer, der Leiterin des FHXB-Museums, die Konzeption einer neuen Ausstellung ca. 2 Jahre in Anspruch nimmt, wurde die Forderung der ursprünglichen Initiative, nämlich die dringend erwünschte Revitalisierung der Ausstellung »noch in dieser Legislaturperiode« abzuschließen, hinfällig.

Deshalb haben wir unsererseits den Ausschuss eindringlich darum gebeten und zugleich nochmals unsere Unterstützung angeboten, auf jeden Fall die frühere Ausstellung – ggf. in revidierter Fassung – wiederherzustellen, bis die Konzeption der neuen abgeschlossen ist und umgesetzt werden kann: Dies wäre allemal besser als das erbärmliche Durcheinander, das derzeit dort zu sehen ist. Dieser Bitte ist der Ausschuss jedoch nicht gefolgt …

Nachtrag 6

Wie zu erwarten, ist der »bis April 2022« verlangte Bericht »zum Stand der Dinge« bzgl. der Ausstellung im Café Sibylle ausgeblieben; erneut hat deshalb Michael Heihsel für die FDP-Fraktion eine schriftliche Anfrage zum aktuellen Sachstand und zur Planung der Ausstellung am 17. Mai 2022 bei der BVV Friedrichshain-Kreuzberg eingereicht, deren 12 Fragen bis spätestens Ende Juni beantwortet werden sollen.

Inzwischen wurden zwei weitere Zeitungsberichte publiziert, in denen u. a. auch die seit mehr als drei Jahren vermisste Ausstellung zur Sprache kommt: Cornelia Geißler schrieb am 03.05.2022 in der Berliner Zeitung über »Stalinbauten: Wo die besten Arbeiter Berlins einziehen sollten« (der Titel wurde nach Veröffentlichung geändert), Patrick Volknant am 18.05.2022 im Neuen Deutschland über »Die Straße, die nicht interessiert«.

mm

About Achim Bahr

Der Künstler, Hochschullehrer, Historiker, Kurator und Autor Achim Bahr ist Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Vereins STALINBAUTEN e.V.